Familie BURON
Die Geschichte meiner Vorfahren IN Polen

Die Zeit in Polen

Ein sonniger Herbsttag im Jahre 1943. Auf dem Hauptplatz von Skierbieszów im Lubliner Land stehen hunderte Polen. Sie haben den Befehl erhalten, das Letzte, was ihre Familien vor dem Hungertod rettet, dem Deutschen Reich zur Verfügung zu stellen: die einzige Kuh im Stall. Der Dorfschulze vom benachbarten Laziska geht auf den verantwortlichen Hauptsturmbannführer zu und versucht ihn zu überreden, den polnischen Familien wenigstens das zum Überleben zu lassen. Er bewirkt tatsächlich, dass der SS-Mann einen Kompromiss schließt und zustimmt, dass ein Teil der Polen ihre Kühe behalten dürften. Doch der Dorfschulze ruft in die Menge, das sie alle ihre Kühe behalten und zurück nach Hause gehen sollen. Ein jubelnder, unbeschreiblicher Aufschrei hundertfacher Stimmen, doch dann richtet der Hauptsturmbannführer seine Pistole auf ihn...
Der Der Dorfschulze war mein Großvater. Mein Vater vermutet, dass ihn sein Freund Friedrich Nunnweiler vor dem Erschießen gerettet hatte, der Bürgermeister von Skierbiszów gewesen war. Dieser wurde in Deutschland, genauer Metebach, auch sein Nachbar. Ein Bruder meiner Mutter heiratete im übrigen später eine Frau aus seiner Familie und sein Bruder war der Vater einer Freundin, die ich erst in späteren Jahren per Zufall kennengelernt hatte. Zufall? Es gibt schon merkwürdige Wege im Leben. Mich führte meiner immer wieder im weitesten Sinne "nach Bessarabien"...

Mein Großvater, sonst ein ziemlicher Tyrann, war bei den einheimischen Polen sogar beliebt, sagte mein Vater, weil er zu den wenigen noch nicht vertriebenen Polen freundlich und gerecht gewesen sei. Er hat somit einige Geschichten um sich gerankt. Vielleicht, weil er und die Familie ja auch selbst vertrieben worden war und daher verstehen konnte? Die wenigen verbliebenen Polen im Ort gehörten zu jenen, die nicht nach Deutschland zur Zwangsarbeit oder in die Lager abtransportiert worden sind. Vielleicht handelte Großvater auch nur mehr aus Angst vor den Überfällen der Partisanen, die es dadurch in Laziska nicht gab? Wer weiß... Zudem sprach mein Großvater bestens Polnisch, hatte auch in Posen noch Verwandte, die er in Jahren zuvor mal besuchte, also insgesamt eine engere Verbindung zu Polen.  All das trug dazu dabei, das Dorf von den Überfällen der Partisanen zu bewahren.

Meine Familie war nicht im Warthegau oder Alt-Danzig angesiedelt worden, sondern kam erst Ende 1942 aus dem Lager Wieselburg über Litzmannstadt (Lodz) in die Region Zamosc. Es war  eine lebensgefährliche Sache auch für diese deutschen Umsiedler. 
Hier der Link zum heutigen Łaziska, damit man weiß, wo es liegt.
Vater war später als seine Eltern und die Schwester vom Umsiedlerlager nach Laziska gekommen, da er sich in Österreich im so genannten Pflichtjahr befand (Burgenland).

Bilder

Mein Urgroßvater Wilhelm starb 1944 in Laziska. Das genaue Datum ist mir nicht bekannt. Da die Frauen und Alten bis März 1944 das Gebiet verlassen mussten, konnte es nur in den ersten Monaten des Jahres gewesen sein.  Wieder ein wunderbarer "Zufall" bescherte mir vor kurzem erst ein Foto, welches auf dem Friedhof in Laziska aufgenommen war. Meine Großtante Eva (Schwester des Großvaters Jacob) und ihr Mann Adam Rauch an einem frischen Grab und kein anderer naher Verwandter beider, der damals dort verstorben war. Es ist also mit großer Sicherheit das Grab von Urgroßvater Wilhelm. Das war mir so wichtig gewesen. Danke Gabi!
Adam Rauch war übrigens zu jener Zeit bei der Wehrmacht. Es waren in Polen viele Besarabier eingezogen worden, manche gingen aber auch freiwillig an die Front.



Hintergründe

... der Ansiedlung in Polen.

"Nach der Eroberung von Polen wurde Himmler die Verantwortung für die „Germanisierung“ der annektierten polnischen Westgebiete übertragen. Himmler ließ fünf Varianten zur gewaltsamen Umgestaltung Osteuropas entwerfen, den sogenannten „Generalplan Ost“. Danach begannen die Nationalsozialisten, die seit Jahrhunderten über Osteuropa verstreut siedelnden Deutschen „Heim ins Reich“ zu holen. Mit ihnen sollten die westlichen Regionen des besetzten Polen „germanisiert“ werden. Dafür wurden 800.000 nicht-jüdische Polen aus ihren Wohnorten vertrieben. 1,7 Millionen wurden als Zwangsarbeiter „ins Reich“ verschleppt und 20.000 bis 50.000 Kinder zur "Arisierung" nach Deutschland deportiert. 1942 wurde begonnen, im ostpolnischen Kreis Zamosc 13 000 Deutsche anzusiedeln."

(Quelle: Ute Schmidt, Die NS-Politik und die Umsiedler, Jahrbuch 2007)

Link  "Generalplan Ost"

Unter ihnen waren rund 4000 Bessarabier und  1400 kamen aus den vergessenen Dörfern des Nordens, so wie meine Familie auch.
Im August 1943 wurden die Ansiedlungen wegen der Vielzahl an Partisanenaktionen beendet.

Ein heikles Kapitel in ihrer eigenen Familiengeschichte, denn diese Ansiedlung warf man den Bessarabien-Umsiedlern in der DDR gewaltig vor. Vater und Großvater wurden verpflichtet, darüber zu schweigen und gezwungen, in die SED einzutreten. Wer sich aber mit der Geschichte der Umsiedlung beschäftigt, kommt zwangsläufig an einen Punkt wo er sich fragt, was diese Menschen insgesamt überhaupt für eine Wahl gehabt hatten. Hätten sie der Umsiedlung nicht zugestimmt,  wären sie wohl nicht am Leben geblieben.  Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion wurden dort verbliebene Deutschstämmige vielfach verhaftet, in Gulags gesteckt, worin bekanntlich nur wenige überlebten.
Ihre früheren Höfe waren "an die Russen verkauft", das Geld dafür kassierte allerdings Hitlerdeutschland. Und wo sie neu angesiedelt wurden, bestimmten die Nazis. Es richtete sich überwiegend nach "erbbiologischen und rassischen Merkmalen". Gedacht hatten sie damals, es ginge wirklich "nach Deutschland", was sie später "Altreich" nannten, wo sie wieder eigenen Grund und Boden erhalten.
Die Höfe in Polen, die sie als "Neusiedler" erhielten, waren nur Lehen (Siedlungsschuld) und an "Wohlverhalten" gebunden. Sie hatten also in Bessarabien Eigentum gegen nichts für nichts aufgegeben. Sie hatten es nicht gewusst, wie ich nun von einem weiteren dieser Bessarabiendeutschen erfuhr. Sie waren der Ansicht, neues Eigentum zu erhalten. Und so fuhren viele Fuhrwerke, beladen mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, als "Abgaben" von den Höfen, genauer: Abarbeitung der Siedlungsschuld.
Alles enthalten und nachlesbar im "Generalplan Ost".

Natürlich gab es Bessarabiendeutsche, die sich in Polen hernach tatsächlich wie Herrenmenschen benahmen. Vor allem Wohlhabendere bedauerten lediglich ihr "eigenes Pech", teilweise "heruntergekommene Höfe"  zugewiesen bekommen zu haben, Hass und Zorn der geknechteten Bevölkerung spüren zu müssen, vor allem im Generalgouvernement. Dort waren allerdings nicht "die reicheren Volksgenossen" in größerer Zahl eingewiesen worden, sondern weit eher die des armen Nordens. Jene, auf die von jeher seitens des Südens herabgeblickt wurde. Warum sie so arm waren, deren Weg, ihre Geschichte, hatte kaum einen von dort interessiert, man warf ihnen in unwissender, überheblich dummer Manier sogar Faulheit vor.

Es ist merkwürdig, wie lange sich manche Dinge auch halten oder wie wenig sich in Köpfen ändert.  Dabei saßen sie alle im gleichen Boot und haben in die gleiche Richtung gerudert: eine neue Heimat zu finden und ein einigermaßen erträgliches, vor allem ruhiges Leben zu führen.